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Von: Markus Thiel
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Er sei eben „Berufsoptimist“, sagt Franz Welser-Möst. Was ihm nicht nur beruflich hilft, sondern gerade in einer schwierigen persönlichen Situation. Der 64-Jährige hat eine Krebserkrankung hinter sich. Derzeit ist der Österreicher zu Gast beim BR-Symphonieorchester. In der Isarphilharmonie dirigiert er am 10., 11. und 12. Oktober Prokofjews zweite und Tschaikowskys fünfte Symphonie. Eine Begegnung in seinem Münchner Hotel.
Wie gefährlich ist Tschaikowskys Musik für einen Dirigenten?
Gar nicht. Tschaikowsky braucht eine gewisse Strenge. Ich glaube nicht, dass Selbstverliebtheit bei ihm hilft. Gerade im Falle der Fünften hat er in der Partitur alles genau notiert. Sich daran zu halten, hilft sehr. Vor allem bei falsch verstandenen Traditionen, die sich im Laufe der Aufführungsgeschichte eingebürgert haben. Vieles von diesem Hyperemotionalen steht einfach nicht in den Noten. Mein Tschaikowsky-Schlüsselerlebnis war Jewgeni Mrawinski mit seinen Leningrader Philharmonikern, ich habe die dreimal live erlebt. Diese Strenge, diese Klarheit, all das hatte etwas Bezwingendes.
Kann man sich leichter in die Sprache, den Dialekt dieser Musik einfühlen im Vergleich etwa zu Schumann und Schubert?
Ja. Mit den beiden Letzteren haben’s wir Dirigenten schwerer. Das ist eine sehr spezifische Sprache, auch deshalb kommt etwa Schumann in den USA nicht so an wie bei uns. Und Schuberts Welt ist eine sehr kleine, aber unglaublich reichhaltige. Tschaikowsky spricht eine viel globalere Sprache.
Tschaikowskys Fünfte ist heute ungeheuer populär, hatte aber seinerzeit Kritik einstecken müssen. Der Dur-Triumph des Schicksalsthemas im Finale zum Beispiel war vielen suspekt. Ist das ein echter Jubel?
Ich empfinde das Ende überhaupt nicht als Triumph. Es strahlt nicht. Mir ist erst relativ spät klar geworden: Tschaikowsky ist in seiner Doppelbödigkeit ein Vorläufer Schostakowitschs. Insofern ist das typisch russisch, weil die Schwermut immer mitschwingt. Tschaikowsky setzt sich hier eine Maske auf.
Prokofjews zweite Symphonie ist ein wildes, explodiertes Stück. Ist das für den Dirigenten mehr eine Koordinations- statt eine Interpretationsaufgabe?
Zuerst einmal eine Probenaufgabe, weil man eine große dynamische Disziplin einfordern muss. Der erste Satz wird leicht lärmig. Ich habe dem BR-Symphonieorchester gesagt: Sie müssen alle Artikulationsvorschriften extrem befolgen. Je genauer man damit umgeht, desto schillernder wird diese Klangsprache. Ich verstehe übrigens nicht, warum immer nur die erste und fünfte Symphonie von Prokofjew gespielt wird. Auch die anderen sind grandiose Werke, mit meinem Cleveland Orchestra haben wir gerade die ersten sechs aufgeführt, im November folgt die siebte. Als Symphoniker ist Prokofjew eigentlich verkannt.
Sie haben Ihre Krebserkrankung schon relativ früh öffentlich gemacht…
…ich wollte sie bewusst nicht verschweigen. Mir war ja anfangs nicht klar, was ich alles absagen muss, und ich wollte auch nicht, dass spekuliert wird. Ja, es war Krebs. Nun ist alles in Ordnung, es ist nichts mehr nachweisbar. Die Therapie vertrage ich allerdings nicht so gut, es gibt da ab und zu heftige Schmerzattacken.
Und wie hat sich das Musikmachen, Ihr Erleben von Musik verändert nach diesem Einschnitt?
Der Einschnitt der Pandemie war viel größer für mich. Weil ich damals gedacht habe: Wer weiß, ob wir jemals wieder Musik machen können? Jetzt dachte ich mir: Ja gut, schauen wir, was bei der Krankheit herauskommt. Ich bin Berufsoptimist, in jeglicher Hinsicht. Ein guter Freund von mir, ein Familienvater, der mit 42 Jahren an Krebs gestorben ist, sagte mir am Schluss: „Ich habe ein tolles, reichhaltiges Leben gehabt. Ich habe unter Bernstein und unter Karajan gespielt, hatte ein wunderbares Familienleben und, und, und. Es kommt einfach nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an.“ Das soll jetzt nicht eitel klingen. Aber ich bin auf einige Dinge in meinem Leben stolz, ob privat oder beruflich. Sie wissen, ich hatte es anfangs nicht ganz leicht. Ich war sehr kontroversiell. Und jetzt spüre ich während meiner Abschiedsphase in Cleveland eine sehr große Zuneigung. Die haben auch eine Liste erstellt von Stücken, die sie unbedingt noch mit mir spielen wollen. Das hat mich sehr gerührt.
Sie haben einmal zum Thema Trump gesagt, seine Präsidentschaft werde keine Auswirkungen auf die US-Kulturszene haben. Schließlich sei man dort nicht von öffentlichen, sondern von privaten Geldern abhängig. Aber gab es nicht doch einen atmosphärischen Umschwung, der sich auf die Kultur auswirkte?
Was man als Europäer anfangs nicht versteht: Es gibt nicht das Amerika, sondern lauter Inseln. Der Bezirk, zu dem Cleveland gehört, ist zum Beispiel schwer demokratisch. Der Gouverneur von Ohio ist dagegen Republikaner, und das spüren wir überhaupt nicht. Ein großes Problem allerdings ist gesellschaftlicher Natur: Man hört dort auf, über Politik zu reden, weil das Freundschaften zerstören kann. Das ist ein Zeichen unserer Zeit. Alles wird in Schwarz und Weiß, in Feind und Freund eingeteilt. Trump ist eine Erscheinung dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Unsere Zeit tut sich wahnsinnig schwer mit Differenziertheit. Was hinzukommt: 80 Prozent der Amerikaner waren nie außerhalb ihres Landes. Das prägt eine Mentalität, weil man kein Bewusstsein für die Welt jenseits des Tellerrandes entwickeln kann. Deshalb der Slogan „America first“. Es gibt ja soziologische Untersuchungen, die besagen: Je weniger die Leute über etwas Bescheid wissen, desto heftiger sind sie dagegen.
Wobei wir Medien eine Mitschuld haben. Zu 70 Prozent schreit einem mit Schlagzeilen und Geschichten entgegen: Alles ist furchtbar. Auch deshalb flüchten sich doch die Menschen in Vereinfachungen und zu vermeintlichen Heilsbringern.
Only bad News are good News, das wird immer extremer. Ich war früher ein Nachrichten-Junkie. Damit habe ich in den vergangenen paar Jahren aufgehört. Ich lese regionale Zeitungen, weil man da noch Positives findet und das Bild etwas ausgewogener ist. Ansonsten kommt es einem doch so vor, als sei die Welt bereits untergegangen.
Apropos: Wie wird sich Ihr Heimatland Österreich entwickeln angesichts des FPÖ-Erfolges? Was befürchten Sie?
Noch einmal: Ich bin gegen Schwarz-Weiß-Denken, mit dem sich nun etwa österreichische Schauspieler bemüßigt fühlen, vom Ende der Welt zu reden. Was mich mehr erschreckt: wenn die einfache Frau oder der einfache Mann auf der Straße behauptet, dass in Russland unter Putin die Welt noch in Ordnung sei. Diese Stimmung finde ich äußerst problematisch. Es wird lang dauern, bis wir in Österreich eine Regierung bekommen. Ich glaube aber, dass Bundespräsident Alexander van der Bellen klug genug ist, der FPÖ zuerst den Regierungsauftrag zu erteilen. Damit nimmt er allen den Wind aus den Segeln, die meinen, er übergehe diese Partei. Gleichzeitig dürfte er sich denken, dass diese Regierungsbildung ohnehin scheitert. Ich halte Herrn Kickl für gefährlich. Gleichzeitig kenne ich FPÖ-Mitglieder, die höchst vernünftig und auf Landes- oder Gemeinde-Ebene absolut pragmatisch sind und eine ideologiebefreite Politik betreiben. Wenn Teile der Demokratie wie die Justiz oder Medien ausgehöhlt werden, werden allerdings Grenzen überschritten. Ich bin außerdem bekennender Wechselwähler, ich schau‘ mir jedes Mal die Parteiprogramme sehr genau an. Abgesehen davon ich will ich mir einfach meinen Optimismus nicht nehmen lassen.
Das Gespräch führte Markus Thiel.