Live aus der Isarphilharmonie in MünchenFranz Welser-Möst beim BRSO
09.10.2024 von Johann Jahn
Seit 35 Jahren kommt der Dirigent Franz Welser-Möst regelmäßig zum BRSO nach München, jene Stadt, in der er schon als Student die Proben von Größen wie Bernstein, Sawallisch und Kleiber verfolgt hat. Nach einer Krebsdiagnose samt Operation musste er lange pausieren, jetzt ist er erstmals wieder in der Stadt an der Isar und hat dafür zwei Werke mitgebracht, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Prokofjews Zweite und Tschaikowskys Fünfte Symphonie.
Bildquelle: Julia Wesely
BR-KLASSIK: Herr Welser-Möst, seit Ihrer Krebsdiagnose Ende letzten Jahres sind Sie jetzt zum ersten Mal wieder beim BRSO zu Gast – wie geht es Ihnen aktuell?
Franz Welser-Möst: Mir geht es gut, das heißt: Man hat keine weiteren Krebszellen mehr gefunden. Die Immuntherapie schlaucht mich manchmal ein bisschen, gerade jetzt in den letzten Wochen, als ich einiges absagen musste. Aber ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich wieder arbeiten kann.
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Franz Welser-Möst: "Als ich die Stille fand"
BR-KLASSIK: Sie dirigieren ein Stück, das man selten hört im Konzertsaal: Prokofjews Zweite Symphonie – Musik wie ein Vorschlaghammer, der Komponist selbst sprach von einem Stück "aus Eisen und Stahl". Wie ist das einzuordnen?
Franz Welser-Möst: Das sind die wilden 20er Jahre, ganz einfach. Da ist die Musikgeschichte in alle möglichen verschiedenen Richtungen gegangen. Da gibt es Maschinenmusik, dann die Neue Sachlichkeit, da gibt's Neobarock, die Neoklassik. Die Spätromantik ist aber auch noch da und dazu die Zwölftonmusik und und und… Also es ist eine ganz verrückte Zeit. Und ich glaube, genau dieses Stück spiegelt das. Der erste Satz hat eine unglaubliche Brutalität. Da klingt der Erste Weltkrieg mit, und der Zweite steht auch schon vor der Tür. Es gibt dann immer wieder so Passagen, wo man Einschüsse hört, von Gewehren und sonst was. Und der zweite Satz ist eigentlich ein Trauergesang. Nicht umsonst hat Prokofjew sich an der "Les-Adieux-Sonate" von Beethoven orientiert. Das ist ein ganz großer, trauriger Abschied.
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Der wilde Sound der 20er
Musik wie eine Panzerbrigade
BR-KLASSIK: Tolle Musik – aber nie zu hören. Warum?
Franz Welser-Möst: Es ist einfach wahnsinnig schwer, herausfordernd für alle Gruppen, ob Geigen, Holz, Blech. Und was er den Kontrabässen abfordert, ist unfassbar. Und andererseits ist es auch schwierig, das Ganze durchhörbar zu machen, weil es so massiv daherkommt. Das ist wie eine ganze Panzerbrigade, die über einen überrollt, vor allem im ersten Satz. Und das klanglich halbwegs aufzufächern ist eine ganz schöne Herausforderung.
BR-KLASSIK: Wie sind Sie denn darauf gekommen, gerade dieses Stück machen zu wollen?
Der Komponist Sergej Prokofjew | Bildquelle: picture-alliance/dpaFranz Welser-Möst: Ich habe eine riesige Bibliothek zu Hause, das sind schätzungsweise so 7.000 Partituren. Und manchmal schmökere ich da einfach drin rum. Und ich habe mir auch irgendwann einmal gedacht: Schostakowitsch-Symphonien werden viel gespielt. Aber was ist eigentlich mit Prokofjew? Die Erste und die Fünfte, okay. Aber was ist mit den anderen Symphonien? Ich habe vor sechs Jahren dann begonnen, mich ein bisschen mit den anderen Symphonien zu befassen und gesehen, dass das eine echte Herausforderung ist. In Cleveland habe ich dann zuerst einmal die dritte Symphonie gemacht. Und es war schnell klar, dass ich alle machen will. Ich liebe solche Herausforderungen! Prokofjew ist ein toller Komponist, auch wenn es große Hürden gibt, die man in den Proben nehmen muss. Aber absolut wert, es auf solch einem Niveau erfahrbar zu machen.
Man muss alles auseinandernehmen, das Puzzle wieder zusammensetzen, erklären, was in der Musik passiert.
Franz Welser-Möst über Prokofjews Zweite Symphonie
BR-KLASSIK: Das letzte Mal auf dem Programm beim BRSO war das Stück 1989 (sic!). Wie gehen Sie an die erste Probe heran?
Franz Welser-Möst: Erstmal grob durchspielen wie bei anderen Werken geht nicht. Man muss alles auseinandernehmen, das Puzzle wieder zusammensetzen, erklären, was in der Musik passiert, was wie gemeint ist, auch mit technischen Anweisungen. Ich arbeite dann gern mit Bildern, und wenn es nur so etwas ist wie: "Da ist wirklich sibirischer Winter angesagt" oder so. Das kann schon helfen, um zu schauen, wie was ausgedrückt werden soll.
Live-Übertragung Franz Welser-Möst beim BRSO
"Konzertabend" live aus der Isarphilharmonie im Gasteig HP8 in München - am 11. Oktober 2024ab 20:03 Uhr auf BR-KLASSIK
Tschaikowsky ohne Puderzucker
BR-KLASSIK: Gute Überleitung zu Tschaikowskys Fünfter – Musik, die nach Bildern schreit, Tschaikowsky hat sogar eine Art Programm mitgeliefert, das er später aber wieder revidiert hat. Wie geht es ihnen? Können Sie mit dem zusammengeschusterten Wort Sehnsuchts-Pathos etwas anfangen?
Franz Welser-Möst: Ja, schon. Das fängt ja bereits mit dem Schicksalsthema an. Ich habe dem Orchester auch gesagt: Tschaikowsky soll man sehr ernst nehmen mit dem, was er hinschreibt. Mal einfach das spielen, was da steht, da kommt man schon, finde ich, sehr weit. Ich mag Tschaikowski nicht, wenn noch extra Puderzucker drüber kommt. Und ich habe gesagt: Da marschiert die russische Armee, aber von weit weg. Und das Hauptthema, da sind sie auf der Flucht. Aber er schreibt wirklich minutiös hin, wo er die Rubati haben will, genau welche Metronomzahlen, und wo ein Ritardando hinführen soll."
Tschaikowskys Fünfte ist kein nettes Stück, das ist ein Stück, wo eine große menschliche Tragik dahinter steckt.
Franz Welser-Möst
Der Komponist Peter Tschaikowsky | Bildquelle: picture-alliance / akg-imagesDa versuche ich von der Form her wirklich sehr streng vorzugehen. Aber innerhalb dessen arbeite ich dann schon auch mit Bildern. Da geht es einfach darum, die Fantasie der Musiker zu beflügeln. Und das hoffe ich ja, dass das dann auch beim Publikum ankommt. Es gibt ja so etwas wie ein intuitives Hören - wo ich vielleicht gar nicht weiß, warum mich das jetzt bewegt oder was da der Ausdruck ist, der irgendetwas auslöst bei mir. Das ist natürlich sehr individuell, man weiß ja nicht, welcher Zuhörer gerade in welcher Lebenssituation ist. Und dementsprechend gibt's auch Reaktionen. Aber wichtig ist ja nur, dass es Reaktionen gibt, dass man nicht in diese oberflächliche Showbusiness-Haltung verfällt und sagt, es sei eh alles nett. Tschaikowskys Fünfte ist kein nettes Stück, das ist ein Stück, wo eine große menschliche Tragik dahinter steckt.
Auf dem Plan für die Zukunft: "Beethovens Missa Solemnis"
BR-KLASSIK: Herr Welser-Möst, um noch mal zurück zum Anfang des Gesprächs zu kommen. Was hat die Krankheit bei Ihnen ausgelöst mit Blick auf Ihre Arbeit als Dirigent?
Franz Welser-Möst: Ich würde sagen, man lebt dann noch ein Stück intensiver. Es ist schon ein Hinweis, dass alles endlich ist. Jetzt nicht unbedingt so, dass man sich dauernd sagt: Hilfe, ich werden sterben. Man nimmt Dinge anders wahr. Wenn ich in Cleveland 2027 aufhöre, war ich durchgehend 41 Jahre lang irgendwo als Chef in der Verantwortung. Das heißt aber auch, dass man eine unglaubliche Auswahl an Möglichkeiten hat. Programmieren! Ich war immer neugierig, und wenn man Chef ist, kann man sagen: Ja, das mache ich. Und als ich jetzt die drei nächsten Jahre in Cleveland geplant habe, war mir klar: Ich will so wahnsinnig gern noch mal eine "Missa Solemnis" von Beethoven machen, das habe ich über 20 Jahre nicht dirigiert. Da kommen dann schon so Gedanken.
BR-KLASSIK: Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und dass sie noch viele Male zu uns kommen zum BRSO, vielen Dank.
Franz Welser-Möst: Danke, ich freue mich immer, nach München zurückzukommen, das ist ein bisschen so wie Heimat. Ich habe hier studiert, eine große Zeit erlebt mit Celibidache, zum BRSO kamen Bernstein und Solti und Muti und in der Oper waren Sawallisch und Carlos Kleiber, den hab ich im "Rosenkavalier" erlebt. Da kommen dann Erinnerungen hoch, das ist immer wie ein Heimkommen.
Sendung: "Pausenzeichen" - innerhalb der live-Übertragung des Konzerts aus der Isarphilharmonie am 11. Oktober 2024 ab 20:03 Uhr auf BR-KLASSIK